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Das Phänomen des Wandels

Karteilose Praxis-Header

 

Vor gut 6 Jahren – und damit eigentlich viel zu spät –  haben wir unsere Praxis auf eine karteikartenlose Arbeitsweise umgestellt. Meine Erfahrungen damit möchte ich nachstehend schildern.

Bei der Eröffnung unserer Praxis vor 23 Jahren gab es ein konventionelles Denkmodell.

  • Wir haben eine Karteikarte, auf der alles eingetragen und vermerkt wird.
  • Die erbrachte Leistung wird in einen Computer übertragen. Die Abrechnung erfolgt am Ende des Quartals.

Ich fand diese Methode tradiert bzw. etabliert. Da ich jedoch immer Ausbildungsassistenten hatte und diese nach Veränderungen strebten, kam irgendwann der Vorschlag, die karteilose Praxis einzuführen.

Zum damaligen Zeitpunkt meldete sich mein Unterbewusstsein mit zahlreichen Zweifeln.

  • Ist das nicht viel zu gefährlich?
  • Sind die Daten sicher?
  • Wie ist die rechtliche Situation?
  • Wie können Nachweise über Aufklärung erbracht werden?
  • Was ist, wenn Daten verloren gehen?
  • Ist das alles evtl. mit wirtschaftlichen Risiken verbunden?

Diese Denkweise stand der notwendigen Veränderung natürlich im Wege. Im Nachhinein betrachtet würde ich sagen, dass ich für die Veränderung nicht offen war.

Dann aber hatte ich ein Schlüsselerlebnis mit meinem Team. Wir besuchten gemeinsam die Praxiseröffnung eines Studienfreundes und waren von der modernen Praxis und von der Denkweise in Bezug auf das karteilose Arbeiten begeistert. Ich habe sofort die Vorteile erkannt und war plötzlich mit meiner eigenen Praxissituation extrem unzufrieden. Der Leidensdruck war da und so habe ich sofort gehandelt.

Unsere Praxis bekam ein neues digitales Röntgengerät und wir haben umgehend zu Computer konkret gewechselt. Noch heute kann ich mich sehr gut an die Einführung der Datenübertragung erinnern. Wir haben staunend vor dem Rechner gesessen und uns gefragt, ob diese Entscheidung tatsächlich richtig war. Vor allem die Mitarbeiterinnen waren skeptisch. Aber wir hatten schließlich eine Vision (karteilose Praxis) und eine Umsetzungsstrategie (digitales Röntgen und neues Praxismanagementprogramm). Im Grunde ist die digitale Transformation eigentlich eine mentale Transformation.

Natürlich waren wir zum damaligen Zeitpunkt verunsichert und wollten eigentlich lieber in den alten Denkmodellen weiterarbeiten. Letztendlich haben wir uns entschlossen, weiterhin mit Karteikarten zu arbeiten. In den alten Karten und im Programm haben wir dann Eintragungen und Leistungen vermerkt. Die Mitarbeiterinnen in der Verwaltung mussten dann die Leistungen in der Karteikarte mit der im Abrechnungsprogramm vergleichen. Im Grunde hatte sich also nichts geändert, außer dass wir jetzt noch mehr Arbeit hatten.

Dieses Problem habe ich schnell erkannt und am Ende des Quartals einen radikalen Schnitt von meinem Team gefordert. Mit Beginn des Jahres 2009 durfte keine Mitarbeiterin mehr eine Karte aus der Kartei holen. Folge war eine sofortige Revolution, bei der man mich beschwor, nicht gleich eine so radikale Änderung durchzusetzen. Meine Mitarbeiterinnen erklärten mir, wieviel Geld ich durch nicht abgerechnete Leistungen verlieren würde. Das waren sehr gut gemeinte Ratschläge, denn sie hatten ja selbst bemerkt, dass in den ersten 3 Monaten nicht alles so perfekt lief.

Ich war mir allerdings sicher, dass wir unsere Leistungsfähigkeit und Produktivität nur durch einen totalen Reset steigern könnten. Genau das war ja meine Vision. Mein Ziel war es, durch den Wandel mehr Transparenz und Effektivität zu erreichen. Also versicherte ich meinen Mitarbeiterinnen, dass es aus meiner Sicht in Ordnung ist, wenn Fehler passieren. Die Vorteile eines karteikartenlosen Arbeitens waren einfach größer. Bis dahin hatten wir täglich ca. 100 Karteikarten aus den Schränken gesucht und später wieder eingeordnet. Und wenn man mal schnell eine Karte gesucht hat, war sie nicht aufzufinden.

Rückblickend hätte ich mit dieser Veränderung schon Jahre vorher beginnen sollen. Schon nach 3 Wochen ohne Karteikarten waren die Mitarbeiterinnen begeistert und konnten nicht mehr nachvollziehen, warum sie so skeptisch gewesen waren. Die Erklärung ist recht einfach. Menschen lieben stabile Ordnungssysteme. Unser Gehirn liebt die Routine, denn da fühlt man sich wohl und sicher. Man muss sich klarmachen, dass man durch Veränderungen diese stabile Ordnung temporär verlässt. Am Ende jedoch steht wieder ein stabiles Ordnungssystem auf einer höheren Stufe.

Praxen brauchen eine Vision und müssen neue Strategien entwickeln. Die Vision muss dem Team nahe gebracht werden, das heißt, jeder muss die Ziele und die einzuleitenden Maßnahmen verstehen. Hindernisse müssen aus dem Weg geräumt und Erfolge sichtbar gemacht werden. Von enormer Bedeutung ist dabei, den Widerstand gegen Veränderungen und das Zögern von Mitarbeitern in Engagement und Willen zu verwandeln, um die Veränderung voranzutreiben.

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