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Die leistungsstarke Praxis (Teil 13)
Die Beratungssituation: Der Erstkontakt zum Patienten auf dem Prüfstand

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In meinem letzten Beitrag habe ich mich damit beschäftigt, dass wir die Patientenberatung emotional und als Erlebnis gestalten sollten. Damit ist nicht ein Erlebnis gemeint, wie man es beim Besuch eines Theaterstücks, eines Musicals oder eines Abenteuerparks wie Disney Land erfährt.

Vielmehr meine ich mit Erlebnis eine erlebte Erfahrung, die im Bewusstsein des Patienten bleibt.

Möchten wir den Patienten erreichen, geht dies nur über Emotionen und Empathie. Wir müssen seine Gedanken, Gefühle, Motive und Persönlichkeitsmerkmale erkennen. Dazu ist es unbedingt notwendig, dass wir uns selbst kritisch hinterfragen, ob wir in unserer Beratung tatsächlich die richtigen Instrumente und Vorgehensweisen wählen.

Wenn ich die Art und Weise der Beratung in unserer Lingener Praxis mit der vieler Kollegen vergleiche, werden einige Unterschiede deutlich. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Mir geht es nicht darum, für die Beratung Noten zu vergeben. Was ich möchte ist, für das Thema eine Sensibilisierung zu schaffen und meine gemachten Erfahrungen weiterzugeben. Es geht mir um einen offenen Dialog mit dem Ziel einer Weiterentwicklung. Dazu ist es wichtig, vorhandene Routinen auf den Prüfstand zu stellen.

Ein Wechsel der Perspektive ist dabei sehr hilfreich. Kolleginnen und Kollegen, die mich in Lingen besucht haben, können das bestätigen.

Man sollte die Patientensicht immer wieder durchdenken und sich kritisch die Frage stellen: Möchte ich eigentlich selbst so behandelt werden?

Dieser Perspektivenwechsel fällt vielen schwer. Hinzu kommt noch, dass man mit seiner eigenen Beratung gefühlt sehr erfolgreich ist – ein häufiger Irrtum bzw. eine Täuschung, die eine falsche Auffassung der eigenen Realität nach sich zieht.

Unser Gehirn ist bemüht, uns ein möglichst schlüssiges Modell der eigenen Welt zu liefern.

Dieses schlüssige Modell basiert auf Vorhersagen, die auf unseren eigenen Erfahrungen beruhen, was oft zu einer gefährlichen Selbsttäuschung führt. Unser Gehirn simuliert uns Realität, die besser scheint als sie de facto ist. Daher sind wir gefangen in unserer gewohnten und als sehr angenehm empfundenen Welt – in unseren Routinen.

Diese Welt / Routinen möchten wir auf keinen Fall verlassen. Manchmal jedoch werden wir aus unserem Traum gerissen, und erst dann kommt es zu notwendigen Veränderungen.

Erst bei einer krisenhaften Störung der Situation sind wir bereit für Veränderungen. Oft ist es dann entweder zu spät oder aber sehr schmerzhaft.

Praxis-12-Routine-neue-Ideen

Zum besseren Verständnis nachfolgend zwei konkrete Beispiele aus der Praxis, die so vielleicht auch Ihre eigene Situation beschreiben.

Rund 90 % aller Kolleginnen und Kollegen, die mich in Lingen besuchen, starten ihre Beratung mit einer Begrüßung des Patienten. Dann wird als erster Schritt eine 01K gemacht. Das hat man so gelernt und das ist für das Gehirn ein schlüssiges Konzept. Machen Sie sich bewusst, wie sich der Patient fühlt, wenn man ihm mit medizinischen Fachbegriffen seinen Gebisszustand beschreibt?

In unserer Lingener Praxis weichen wir seit langem von dieser tradierten Methode ab. Wir gehen zuallererst auf die Bedürfnisse des Patienten ein und setzen uns sehr schnell gemeinsam mit ihm an einen Schreibtisch. Das entspannt die ganze Situation für den Patienten und den Behandler.

Bei ihren Besuchen in Lingen oder wenn wir uns zu einem gemeinsamen Anwendermeeting treffen sind Kolleginnen und Kollegen von dieser Handlungsweise häufig irritiert. Ihr Gehirn macht in Millisekunden einen Abgleich und stellt einen fatalen Fehler fest. Das Gehirn meldet den Fehler: Warum wird keine 01K durchgeführt?

Natürlich machen auch wir eine 01K, allerdings zu einem späteren Zeitpunkt. Unser initiales Ziel ist es jedoch zunächst, dass der Patient so schnell wie möglich den Behandlungsstuhl verlassen kann.

Warum handeln wir so? Welchen Vorteil hat das für die weitere Beratung?

Stellen Sie sich einmal folgende Frage: Welche unbewussten Assoziationen verknüpft ein Patient mit einem zahnärztlichen Behandlungsstuhl? In der Regel sind dies unangenehme Erfahrungen und Schmerzen. Dieses Gefühl der Angst löst Bedrohung aus. Nach der Theorie von Walter Cannon (1929) reagiert der Mensch, ebenso wie ein Tier, auf eine akute Bedrohung mit erhöhter Aktivierung. Die Alternativen sind Kampf oder Flucht. Beide Reaktionen werden dabei durch die gleiche Stressempfindung ausgelöst.

Eben diesen Stress möchten wir vermeiden. Daher soll der Patient den Behandlungsstuhl (Bedrohung) schnellstens verlassen können. Die 01K erfolgt später.

Vor einer Beratung im Behandlungsstuhl oder in einem Raum mit mehreren Patienten möchte ich ausdrücklich warnen!

Wir integrieren die Anwendung My Anamnese in unser Erstberatungsgespräch. Sehr hilfreich ist dabei auch der ausgefüllte Anamnesebogen des Patienten. Er macht es möglich, dass wir uns sehr einfach und schnell einen Überblick über die Probleme, Wünsche und Erwartungen unseres Patienten verschaffen. Die Formulierung der Fragen ist dabei extrem wichtig.

Mein zweites Beispiel betrifft Patienten, die mit einer CMD-Problematik in die Praxis kommen. Hier stellen viele Kolleginnen und Kollegen die Frage: „Was können wir für Sie tun?“ Damit geben sie dem Patienten eine Steilvorlage und er beginnt, ausführlich seine halbe Lebens- bzw. Krankengeschichte zu berichten.

Warum stellen Sie Ihre Eingangsfrage nicht gehirngerechter für den Patienten?

Bei uns lautet sie beispielsweise wie folgt: „Sie leiden seit Jahren an Kopfschmerzen, Verspannungen und Gelenkknacken. Die Ursache dafür kann eine Zahnfehlstellung sein. Ich möchte Sie jetzt kurz untersuchen. Danach erklärte ich Ihnen, wie wir Ihnen helfen können.“

Sämtliche wichtigen Informationen hat uns der Patient in seinem Online-Anamnesebogen gegeben. Durch das Wiederholen seiner selbst wahrgenommenen Probleme hat er das gute Gefühl, dass wir uns mit seinem individuellen Fall schon intensiv beschäftigt haben. Das gibt ihm das notwendige Vertrauen und damit die Basis für die zukünftig erfolgreiche Behandlung.

Vertrauen, Kompetenz und Zuverlässigkeit sind die wichtigsten Werte in der Beziehung zwischen Arzt und Patient.

Wie wir diese Werte bei unseren Patienten effektiv steigern können, werde ich in meinem nächsten Artikel erläutern. Die gesamte Beratungssituation ist sehr komplex. Daher gilt es, alle Zahnräder perfekt ineinandergreifen zu lassen. Dabei spielen oftmals Dinge eine Rolle, über die man bislang noch nie nachgedacht hat.

Ich bin übrigens immer offen für Diskussion und würde mich sehr freuen, auch von einigen meiner Leser Ideen und Anregungen zu erhalten. Ich möchte diesen Blog als Erfahrungsaustausch nutzen.

Das Ziel ist, dass wir alle gegenseitig voneinander lernen

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